An die VVN-BdA: Aufruf zur Unterstützung ukrainischer Antifaschisten

VVN-BdA_150x216In seinem Beitrag zur Diskussion in der VVN-BdA „Den Bruderstaat gibt es nicht“ (antifa vom Sept./Okt. 2014, Beilage S.2) warnt Mathias Wörsching vor linker Verklärung und Glorifizierung eines imperialen Bonapartisten und Chauvinisten namens Putin. Die russische Großmacht betreibe eine kriegerische Annexionspolitik, die keinen Deut besser sei als die westliche. Ebenso sei dem Bürgerkrieg in der Ukraine keine gerechte Seite abzugewinnen.900px-Flag_of_Novorussia_(project).svg

Dies sind die zwei wesentlichen Aussagen des Artikels: 1. Russland = Westen; 2. Donezk/Lugansk = Kiew. „Ebenso“ ist dabei das Zauberwort, das die Parteinahme der VVN-BdA in einer schrecklich grauen Welt voller Nationalisten und Faschisten begründen soll. Von seiner Einschätzung Russlands schließt Wörsching umstandslos auf die Situation in der Ukraine und verschreit letztlich jedwede Parteinahme zugunsten der Donezker und Lugansker Volksrepubliken als „ebenso abscheulich“ wie den Interventionismus seitens des Westens und der Kiewer Regierung. Wörsching nimmt die dem „Regime“ Putins zugeschriebenen ideologischen Prämissen und Herrschaftspraktiken zum willkommenen Anlass, die Ostukrainer als „ebenso abscheuliche Faschisten“ wie die westukrainischen Faschisten zu denunzieren und die Solidarität mit den Ostukrainern und ihren als „selbstgemacht“ geschmähten politischen Institutionen zu verwerfen.

Mit solchen gewagten Analogieschlüssen erschwert Wörsching die bitter nötige Debatte in der VVN-BdA. Er verfehlt sogar seinen erklärten Zweck einer solidarischen Kritik an Tendenzen allzu euphorischer Identifikation mit Putin. Denn er benutzt Putin als den Teufel, der die VVN-BdA von der Seite der Donezker und Lugansker Volksrepubliken verscheuchen soll, vermischt also absichtsvoll zwei Fragen, um damit im Ukrainekonflikt Partei gegen die notgedrungen staatlich organisierten Antifaschisten in der Ostukraine zu beziehen.

Die VVN-BdA braucht eine Debatte um die Frage, wie Putin und die Russische Föderation einzuschätzen sind. Und die VVN-BdA braucht Klarheit über den Charakter der Bürgerkriegsparteien in der Ukraine. Beide Fragen hängen miteinander zusammen, aber nicht auf die Weise, die Wörsching insinuiert.

Auch in seinem Fazit vermengt Wörsching diese beiden Fragen mit einer ehrenwert scheinenden Absichtserklärung: „Unser Platz ist bei den linken und antifaschistischen Bewegungen in der Ukraine und Russland, so sehr diese momentan auch an den Rand gedrängt sein mögen.“ Das ist allgemein gesprochen durchaus richtig, unterschlägt aber die Unterschiede zwischen der Situation in Russland und in der Ukraine.

Von welchen abscheulichen Gräueltaten der Ostukrainer hat Wörsching wohl gelesen, die einem Ereignis wie dem Massaker von Odessa gleichkämen? Wo wären die Pressemeldungen des Zentralrats der Juden in Deutschland, die über besorgniserregende Vorkommnisse in der Ostukraine berichten, wie sie es über die Westukraine tun? Woher stammt die eingefleischte Gewissheit, dass russischer Nationalismus qualitativ gleichzusetzen wäre mit dem jetzt in der Westukraine entfesselten völkischen Nationalismus in der Tradition der OUN/UPA? Sind Volksrepubliken-Ausrufungen nebst staatlichen Plakatkampagnen gegen Faschismus jetzt „ebenso abscheulich“ wie die Verherrlichung des Stepan Bandera, Tryzub-Tätowierungen und Kampfansagen gegen „russische Barbaren“ und andere „Fremdlinge“? Ist Solidarität mit den Ostukrainern, nur weil sie nicht so adrett und honorig erscheinen, wie die deutsche Zivilgesellschaft sich dünkt, gleich „Putinismus“, sprich „antidemokratisch, ultranationalistisch, militaristisch und patriarchalisch“?

Mit der Unhaltbarkeit seiner zweiten, kaum subtil untergeschobenen Aussage „Donezk/Lugansk = Kiew“ fällt auch die Aussage „Russland = Westen“. Auch Russland mag als kapitalistisches Land eine Außenpolitik der ,nationalen Interessen‘ betreiben. Nichtsdestotrotz zeigen die Ereignisse in der Ukraine eindeutig, dass Russland hier aus der Defensive agiert, als Status-quo-Macht und nicht als Aggressor. Deswegen ist Russland auch objektiv an die Seite derjenigen ukrainischen Antifaschisten gedrängt, die sich notgedrungen staatlich organisiert haben.

Man muss das neue Russland nicht lieben, um im Ukrainekonflikt seinen „Platz bei den linken und antifaschistischen Bewegungen in der Ukraine“ zu finden. Aber nicht jeder, der Russland liebt, hat darum schon im Ukrainekonflikt den falschen Platz bezogen. Mehr noch: Feindseligkeit gegenüber Russland zur Bedingung der richtigen Haltung zum Ukrainekonflikt zu küren, torpediert und sabotiert die antifaschistische Einheit nicht etwa ebenso, sondern ungleich mehr als das in der Tat problematische Einfordern bedingungsloser Solidarität mit „Putin-Russland“ und jeder einzelnen Maßnahme des russischen Staates.

Als organisierte Antifaschisten in der BRD sehen wir uns an der Seite aller von den gegenwärtigen Machthabern in Kiew ihrer demokratischen Rechte beraubten Ukrainer. Unsere Solidarität gilt dabei nicht zuletzt der Kommunistischen Partei der Ukraine und der antifaschistischen Organisation Borotba. Aus der Geschichte wissen wir, dass Verbot, Verfolgung und Zerschlagung kommunistischer Organisationen ein entscheidendes und oft das erste Ziel der äußersten Reaktion auf ihrem Weg in den Faschismus sind.

Wir Unterzeichner bitten um Fortführung der Debatte im Sinne der Erarbeitung einer möglichst einheitlichen antifaschistischen Grundposition der VVN-BdA im Ukrainekonflikt bei solidarischer Diskussion der unterschiedlichen Einschätzungen über „Putin-Russland“.

Unterzeichner [Stand: 24.10.2014]:
Daniel Leon Schikora, VVN-BdA Rostock; Jan Steyer, Mitglied des Landesvorstands der VVN-BdA Niedersachsen und Kreissprecher der VVN-BdA Göttingen;  Kees van der Pijl, Vorsitzender der AFVN/BvA; Tatjana Sambale, VVN-BdA Rostock; Mario Berríos Miranda, Mitglied des Kreisvorstandes der VVN-BdA Dahme-Spree (Brandenburg); Steffen Weise, VVN-BdA Berlin-Lichtenberg; Alfred Fritz, KPD Berlin; Günter Althaus, Mitglied des Vorstandes der VVN-BdA Rostock; Stephan Wolf, Kreissprecher der VVN-BdA Göttingen; Manfred Feldmann, VVN-BdA Landshut; Gerd Nier, VVN-BdA Göttingen; Peter Borak, VVN-BdA Ortenau; Hannelore Rabe, Mitglied des Vorstandes der VVN-BdA Rostock; Sebastian Carlens, VVN-BdA Niedersachsen; Jürgen Weise, VVN-BdA Rostock; Rainer Johanterwage, VVN-BdA NRW; Alfred Hartung, VVN-BdA Wolfsburg; Ruth und Hartwig Strohschein, VVN-BdA Pankow; Hans Brenner, VVN-BdA Nürnberg; Brigitte und Conny Renkl, VVN-BdA Berlin; Jürgen Lloyd, VVN-BdA Krefeld; Johannes Oehme, Autor, Berlin; Fritz Ullmann, VVN-BdA Wuppertal, Stadtverordneter im Rat der Stadt Radevormwald des LINKEN FORUMS; Markus Bernhardt, Journalist, Berlin; Stanislav Byshok, CIS-EMO International Election Monitoring Organization; Heinrich Bücker, Coop Antikriegscafe Berlin; Dieter Becker, Schriftführer des OKV e.V., Bernau OT Schönow; Lukas Saliba, Vorsitzender der Jungen Aramäischen Union; Uta und Eduard Mader, Leitungsmitglieder FreiDenker, Landesverband Berlin; Fred Alan Medforth, Publizist; Alexander Dorin, Publizist; Dr. Peter Strathmann, Sprecher von DIE LINKE. Ortsverband Göttingen; Thomas Knecht, Leiter von DKP queer; Reinhold Spisla, Vorstandsmitglied des Linken Forum Oberberg; Björn Dicken, Publizist; Marcel Kunzmann, Publizist; Jean-Theo Jost, Schauspieler, Berlin; Cornelia Praetorius, Christliche Friedenskonferenz, Berlin; Renate Münder, Mitglied des Parteivorstands der DKP; Hannes Müller, DKP-Landesverband Mecklenburg-Vorpommern; Klaus Heck, Journalist, Aachen; Karin Beinhorn, DKP Göttingen; Irina Zeim, Berlin; Sven Glende, Berlin; Tatjana Müller, Berlin; Harry Müller, Berlin; Ilja Barysev, Kleve; Ulf Trzinski, Rostock; Thomas Ripper, Berlin, Stephan Messerschmidt, Dresden.