Wir geben hier die Stellungnahme des Bundesvorstands der Roten Hilfe e.V. vom 15. April 2014 wieder, da wir der Ansicht sind, dass hier grundsätzliche Fragen beantwortet werden, die im Zusammenhang mit diesem Spendenaufruf aufkommen können, wenn man die Diskussion bis zu diesem Punkt nicht verfolgt hat.
Stellungnahme der Roten Hilfe e.V. zur Spendenkampagne für verfolgte Antifaschist*innen in der Ukraine
Göttingen, den 15.04.2014
Stellungnahme der Roten Hilfe e.V. zur Spendenkampagne für verfolgte Antifaschist*innen in der Ukraine
Nachdem in den letzten Wochen, vor allem aus anarchistischen Zusammenhängen, massiv Stimmen laut geworden waren, die sich kritisch bis ablehnend zur Rote Hilfe-Spendenkampagne für verfolgte Antifaschist*innen in der Ukraine geäußert hatten, sehen wir uns dazu veranlasst, eine klärende Stellungnahme zu veröffentlichen. Mit ihr soll, unter nachgereichtem Ausräumen aufgetretener Missverständnisse, den teilweise heftigen Verleumdungen und Boykottaufrufen gegen unsere Antirepressionsorganisation der Wind aus den Segeln genommen werden – in der Hoffnung, unsere diesbezüglichen Positionen nochmals klar und deutlich zum Ausdruck zu bringen.
Zunächst gilt festzuhalten: Die Rote Hilfe e.V. ist eine parteiunabhängige, strömungsübergreifende linke Schutz- und Solidaritätsorganisation mit zurzeit mehr als 6700 Mitgliedern. Die Ansprüche „parteiunabhängig“ und „strömungsübergreifend“ sind dabei weder ins Leere laufender politischer Selbstzweck noch hohle Phrasendrescherei, sondern das Ergebnis jahrzehntelanger Diskussionen inner- und außerhalb dieser Struktur. Diese politischen Kennzeichnungen bilden das leitmotivische Fundament, auf dem die gesamte Solidaritätsarbeit der Roten Hilfe e.V. beruht. Unterstützung und Solidarität durch die Rote Hilfe e.V. erfahren dann „alle, unabhängig von Parteizugehörigkeit oder Weltanschauung, die in der BRD aufgrund ihrer politischen Betätigung verfolgt werden“ (aus der Satzung). Darüber hinaus gilt die Solidarität der Roten Hilfe e.V. aber auch „den von der Reaktion politisch Verfolgten in allen Ländern der Erde“ (ebd.).
Dieser zuletzt angeführte Passus tritt nun bei der Spendenkampagne für die Genoss*innen in und aus der Ukraine in Kraft. Diese offiziell am 01.03.2014 eingeläutete Spendenkampagne für verfolgte Antifaschist*innen in und aus der Ukraine ist im klassischen Sinne das von der Roten Hilfe e.V. in die konkrete Tat umgesetzte Produkt internationaler Solidarität mit politisch Verfolgten in einem anderen Land dieser Welt. Überzeugte Antifaschist*innen aus der Ukraine, bei denen wir – analog zum Vorgehen hier in der BRD – weder nachprüfen, ob sie Mitglieder einer bestimmten Partei noch Sympathisant*innen einer gewissen Weltanschauung sind, haben sich in höchster Not, also in einer spezifischen historischen Situation extremer staatlicher Repressionsmaßnahmen gegen alles als „links“ Stigmatisierte, direkt an Genoss*innen aus einer Ortsgruppe der Roten Hilfe e.V. gewandt und sie um politische Unterstützung gebeten. Das hat also bereits an diesem ursprünglichen Aktivierungs- und Aufbereitungsgrund weder etwas mit einer Kommunistischen Partei noch mit „pro-russischem Chauvinismus“ zu tun.
Der Grund ist schlicht und einfach jener, der in einer anarchistischen Stellungnahme vom 21.03.2014 treffend zusammengefasst wird und in ähnlicher Form ja bereits Eingang in den Rote Hilfe-Spendenaufrufstext gefunden hatte: „In zahlreichen Regionen [der Ukraine] gab es militante Aktionen von Rechtsradikalen. So wurde im westukrainischen Berehowe, wo die Hälfte der Bevölkerung zur ungarischen Minderheit gehört, eine Stadtratssitzung vom »Rechten Sektor« [faschistische Straßenmiliz] gestürmt. Rechtsradikale veröffentlichten eine Liste von Journalist*innen, die künftig besser nichts mehr veröffentlichen, und auch Schwarze Listen über Linke, Antifas und Anarchist*innen wurden erstellt. Eine ganze Reihe von ihnen musste untertauchen oder ins Ausland fliehen.“ (http://de.indymedia.org/2014/03/353077.shtmlhttp://de.indymedia.org/2014/03/353077.shtml) Diese unter der Rubrik „Material und Neuigkeiten zu Anarchismus in Osteuropa und jenseits“ edierte Situationsbeschreibung von „a3yo“ ist eine aus Sicht der Roten Hilfe e.V. perfekt geeignete Präsentation, weil sie zum einen auf durchaus ernstzunehmende Art und Weise den Versuch unternimmt, eine „Zusammenfassung und Erklärung der Ereignisse in den letzten drei Wochen, mit einem Blick auf Russland“ abzuliefern, aber zum anderen in dasselbe Fahrwasser der RH-Diskreditierung gerät, wie wir es – nass erwischt – in den letzten fünf Wochen auch von anderen anarchistischen Gruppierungen erleben durften. An späterer Stelle heißt es in diesem Text, dessen soeben zitierte Stelle sich analytisch komplett mit den Erkenntnissen deckt, die letztendlich zur RH-Kampagne geführt haben: Borotba [das ist jene Partei, von der sich anscheinend zahlreiche linke Organisationen wie AnarchistBlackCross, die Direkte Aktion oder das anarchafeministische „Kollektiv Good Night Macho Pride“ distanziert haben] habe „gute Verbindungen in den Westen. Ihre Sicht der Dinge wird von spanischen Stalinos ebenso weiterverbreitet wie von der jungen Welt, selbst wenn es sich um dreisteste Propagandalügen handelt, und die Rote Hilfe e.V. sammelt für sie (und die Kommunistische Partei der Ukraine [KPU], die genauso rechtskonservativ und russisch-chauvinistisch ist)“ (ebd.).
Diese beiden a3yo-Zitate können wir, hier stellvertretend, nur als verbale Affronts verstehen. Denn sollte die Rote Hilfe e.V. solche „Gewerkschaften“ und Parteien aktiv supporten, dann ist dies laut Kritiker*innen ja bereits in unserer eigenen fundamentalen politischen Ausrichtung angelegt, also logisch-konsequentes Agieren auf der Basis der Unterstützung aller linken Strömungen. Die politische Lage in der Ukraine ist auch für die Rote Hilfe nicht eindeutig. Einerseits ist dies einer (immer noch) chaotischen Informationslage in der (radikalen) Linken der BRD geschuldet, andererseits eine Frage der (linken) Perspektive.
Es ist ausgeschlossen, dass linke allgemeinpolitisch tätige Organisationen pauschal von uns Spendengelder überwiesen bekommen. Diese Behauptung, die in den letzten Wochen vermehrt zur Verunglimpfung der Arbeit der Roten Hilfe e.V. benutzt wurde, wird auch durch häufige Wiederholungen nicht wahrer. Vielmehr solidarisieren wir uns vor allem mit einzelnen Aktivist*innen, die aufgrund ihres linken politischen Engagements kriminalisiert werden. Dabei ist für uns deren individuelle politische Weltanschauung nicht von Bedeutung: Ebenso wenig wie die Rote Hilfe e.V. bei Unterstützungsfällen in der BRD die Gruppen- oder Parteizugehörigkeit oder die ideologische Ausrichtung der betroffenen Aktivist*innen überprüft, so wenig ist für uns eine Kontrolle der Organisationsmitgliedschaft von verfolgten Linken in der Ukraine mit den Grundsätzen strömungsübergreifender Solidaritätsarbeit vereinbar. Denkbar sind aber Spenden an Vereine oder Bündnisse, um Antirepressionsprojekte im Kampf gegen die Angriffe des Staates zu unterstützen, wie Konferenzen, internationale Delegationen und vieles mehr. Dass sich sowohl die von uns unterstützten Gruppen als auch die politischen Aktionen und Projekte im Rahmen unserer Satzung bewegen müssen, versteht sich dabei von selbst.
Wir unterstützen alle verfolgten Linken in der Ukraine, unabhängig davon, ob sie sich in Parteien, Syndikaten, Gewerkschaften, Räten oder autonom organisieren. Deshalb freuen wir uns über die breite Solidarität, die uns bisher fast 7.000 € an Spenden eingebracht hat.
In der Hoffnung, dass der derzeitigen staatlichen Repression in der Ukraine etwas Substanzielles entgegengesetzt werden kann. Solidarität mit allen von staatlicher Repression und faschistischem Terror Betroffenen in der Ukraine und überall!
H. Lange für den Bundesvorstand der Roten Hilfe e.V.
Spendenkonto Rote Hilfe e.V.
IBAN: DE25260500010056036239
BIC: NOLADE21GOE
Stichwort: Antifa Ukraine